Dienstag, 21. Juli 2015

Wir haben kein Organ für die Zeit

Uns Krebskranken wird nahegelegt, sorgsam mit der verbleibenden Lebenszeit umzugehen. Da ist der Artikel in der SZ vom 4.7.15 mit dem oben genannten Titel besonders interessant:
"Trügerische Wahrnehmung: Am Anfang des Urlaubs haben wir unendlich viel Zeit, am Ende sausen die Tage davon. Das Prinzip gilt für das ganze Leben."
Der Zeitforscher Marc Wittman sagt: Viele Leute haben das Gefühl, dass die Zeit immer mehr rast, je älter sie werden. Vereinfacht erklärt: Es passiert einfach nichts mehr. Wenn ich persönlich z.B. an das Jahr 1964 denke, so wird mir heute fast schwindelig, was da alles passierte und welche Entscheidungen für das ganze Leben fielen.

Durch die Diagnose hat sich mein Zeitempfinden entscheidend geändert, es gibt es eine andere Zeitrechnung:
XGEVA gibt den Rhythmus vor: Alle 4 Wochen eine Spritze für die Knochen, dann alle 3 Monate Hormonblockade.
Dazu kommt die Berechnung der Verdoppelungszeit des PSA-Wertes. Wenn sich einmal ein stetiger Anstieg eingestellt hat, sieht man, wann ein Wert von über 1000 erreicht werden könnte, wo die meisten PSA-Verlaufskurven enden, die ich gesehen habe.
Wenn ich positiv gestimmt bin, denke ich: für mich ist es besser so (wie es ist), als einmal uralt und gebrechlich im Heim zu warten, dass endlich wieder ein Tag vergeht!

Siehe auch: sz.de/tempo

Sonntag, 19. Juli 2015

Hochzeitstag

Heute haben wir Hochzeitstag. Den "halbrunden" (45) vor einem Jahr hätten wir traditionsgemäß größer feiern müssen. Aber da waren wir noch tief im Loch der Diagnose und Ersttherapie...
Heute dagegen glaube ich daran, dass sogar eine gewisse Wahrscheinlichkeit (40%) besteht, auch noch die goldene Hochzeit zu erreichen.
Am SAMSTAG, 24. JANUAR 2015 habe ich über Reinhard Mey und seine Lieder geschrieben, die uns irgendwie durch unser gemeinsames Leben begleiteten. Da er in unserem Alter ist, gab es in jedem Lebensabschnitt Lieder, die genau zu unseren persönlichen Situation passten.
Aus dem Album "Mairegen" hat  uns dieses Lied besonders berührt: "Wir sind eins". Es endet damit: "Wir sind knorrig, wir sind alt, wir sind tatsächlich eins geworden." In der Tat haben wir durch die Krankheit erfahren, wie sehr wir auch nach 46 Ehejahren noch aneinander hängen. "Das ist es ja", sagt meine Frau. Unausgesprochen denkt sie weiter: "was das Abschiednehmen einmal so schwierig machen wird."
Ein bisschen Wehmut kommt schon auf, wenn man sieht wie jung und hübsch wir mal waren. Aber ein reiches, erfülltes Leben liegt zwischen diesem Bild und heute.
Dafür will ich meiner Frau ganz herzlich danken!
Dank auch für ihre heutige Fürsorge! Während es meinen Ärzten völlig egal ist, was ich treibe, so lange sie "klin. o. B." eintragen können, kommt von meiner Frau oft: "Darfst Du das tun? Heb´nicht so schwer! Zieh eine Jacke an, Du erkältest Dich! Ruh Dich endlich mal aus!"

Mittwoch, 15. Juli 2015

Das eigene Schicksal relativiert sich, wenn ich das lese:

Trauer um Rudi Fischer
Kaltenbrunn. (bk) „Es ist ein trauriger Abschied, den wir heute nehmen müssen. Wenn ein Mensch am Ende seines Lebens so von seiner Krankheit belastet war, und nicht mehr viel ist, was sich irgendwie vorzeigen ließe – was bleibt dann?“, fragte Pfarrer Matthias Weih am Freitag beim Gottesdienst für den 70-jährig verstorbenen Rudi Fischer.
Im Angesicht des Todes gelte es, die Tragik dieses Lebens ebenso wie die eigene Hilflosigkeit ehrlich zu bekennen, betonte Weih.  „Wo wir urteilen und verurteilen, da spricht Gott seine Barmherzigkeit aus. Wo wir nicht mehr weiterkönnen, da gilt Gottes Gnade.“
Bereits mit 47 Jahren erkrankte Fischer an Krebs, für den sechsfachen Vater eine schwere Erfahrung. „Er hatte am Ende das Gefühl, den bereits verstorbenen Familienmitgliedern und auch Gott nahe zu sein. Und er las viel in der Bibel. Auf das Wort aus dem 1. Johannesbrief durfte er, dürfen wir vertrauen: Gott ist Licht und in ihm ist keine Finsternis.“ Nach der Beisetzung intonierte der Posaunenchor das „Gebet“ von Mozart.

Montag, 13. Juli 2015

"Er" steht unter Beobachtung

Manchmal versuche ich, mich selbst zu beobachten! Noch befindet "er" sich mich meiner Meinung nach im Stadium der Hormontherapie. Am DIENSTAG, 18. NOVEMBER 2014 habe ich mich bei Herrn Huggins, der das gefunden hat, bedankt. "Wenn ich vor 73 Jahren gelebt hätte, wäre mein letztes Abenteuer vielleicht schon zu Ende!"
Man versucht hier, bei dem Patienten einen möglichst kleinen Wert des Testosteron zu erreichen (früher hatte ich Mühe, das Wort überhaupt richtig auszusprechen), weil dieses wichtige Hormon für einen Mann leider auch die Krebszellen zum Wachstum anregt.
Der Hormonentzug hat natürlich auch Nebenwirkungen. Da gibt es z.B. Hitzewallungen, mit denen relativ einfach umzugehen ist. Schwieriger ist es mit den Auswirkungen auf die Psyche. Oft habe ich mich gefreut, dass "er" eigentlich recht gut damit zurecht kam. Wenn "er", so wie heute, mal keine Freude am Leben hat, so weiß ich mittlerweile aus Erfahrung, dass das wieder vorbei geht, so wie das schlechte Wetter, das wir heute hatten.

Mittwoch, 8. Juli 2015

Das Leben geht weiter

Eigentlich wollten wir uns bei diesem Aufenthalt an der Nordsee "tumorfrei" nehmen. Doch dann kam die Sache mit dem Artikel über mich. Das hat mich doch mehr beschäftigt, als ich ursprünglich dachte. Nun ist es vorbei, ich habe viele, liebe Anmerkungen bekommen und bereue es nicht, dem Interview zugestimmt zu haben.
In Weiden ist heute Markttag. Die Zeitungsseite wird sicher auch für das Einwickeln der Salatköpfe ihre letzte Verwendung finden.
In den elektronischen Medien wird das Interview durch neue Ereignisse zugedeckt, die im Fluss der ständig neuen Nachrichten die alten in den Keller schieben, aus dem sie dann mal ganz verschwinden.
Noch ist der Artikel zu finden:
http://www.oberpfalznetz.de/zeitung/4642589-454-tumor-ist-wenn-man-trotzdem-lacht,1,0.html

Dienstag, 7. Juli 2015

Lebensbilanz ziehen – befreiter leben

Passend zum heutigen Tag in der Süddeutschen Zeitung gefunden:
„Wer den Tod begreift und als Teil seines Lebens akzeptiert, für den gibt es kein Tabu mehr“, das betont Altabt Odilo Lechner von der Münchner Abtei St. Bonifaz. Aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung als Seelsorger weiß er, dass viele Menschen das Thema einfach als unangenehm wegschieben und das Sterben verdrängen.
„Solange es einen im unmittelbaren Umkreis nicht betrifft, ist diese Verdrängung vielleicht eine Zeit lang möglich.
Aber sicherlich muss sich jeder früher oder später mit diesen Gedanken auseinander setzen! Wer dies tut, kann unverkrampfter und fröhlicher leben“, so der bekannte Benediktiner.

Montag, 6. Juli 2015

Ich bin einverstanden So wie es ist

So wie es ist     Ist es gut
Ich bin einverstanden     Geh damit um
Wenn es so ist     Ist es gut ...

So singt Herbet Grönemeyer in seinem Album "Dauernd jetzt", das ich eben gehört habe. Lassen wir also das Beobachten des PSA. Konrad aus dem Forum hat einmal gesagt: Der PCA ist eine Wundertüte, denn auch die Ärzte wissen meist nicht, wie ein neues Medikament bei wem wirkt.
Ich freue mich über den Jahrestag meiner Wirbelsäulen OP, wo ich wieder zu einem Menschen wurde, der weitgehend unbeschwert seine Beine benutzen kann. Mahnend steht der Rollator im Keller.
Und dann stehe ich heute auch noch in der Zeitung! Das kam so: Ich schätze die Artikel eines Redakteurs sehr und als er vor nicht allzu langer Zeit zum Thema Sterbehilfe schrieb, bedankte ich mich bei ihm und gab ihm den Link zu meinem Blog.
Er fand das so interessant, dass er vorschlug, mit mir ein Interview zu machen. Wir unterhielten uns zwei Stunden. Es kamen Fragen, wo ich selbst erst nachdenken musste. Der Redakteur hat es wirklich gut geschafft, meine Botschaft in Worte zu fassen! Wenn ich den Artikel lese, kommt es mir vor, als sähe ich mich in einem Spiegel.
Kann sein, dass einige neue Leser durch den Artikel zu meinem Blog finden. Ich begrüße sie hiermit herzlich!
Ich sehe manchmal die Zugriffszahlen, aber weiß nicht, wer liest. Es tut gut zu wissen, dass viele an mich denken.

Mittwoch, 1. Juli 2015

Wohin wird die Kurve laufen?

Meine Frau mag es gar nicht, wenn ich mit Diagrammen arbeite. Als Ingenieur brauche ich das aber, um meine Gedanken zu ordnen. In beigefügtem Diagramm habe ich einmal meine Werte mit denen eines Teilnehmers in myprostate.eu verglichen, der 2 Jahre nach Diagnose verstorbenen ist.
Der Verlauf von "zdeno" (blaue Linie) stellt den "worst case" dar, weil bei ihm, abgesehen von der Hormontherapie am Anfang, keine der zur Verfügung stehenden Maßnahmen den Verlauf bremsen konnten.
Ende 2014 hatte ich (rote Linie) einen ähnlichen Verlauf und meine Frau war entsetzt, wenn ich das Lineal an die Kurve legte, die dann der blauen ähnlich war. Nun habe ich aber einige Bremsspuren hinein bekommen und es bleibt spannend.
Aber mit Sicherheit wird auch die rote Kurve einmal wieder nach oben marschieren.

Nachtrag am 2.7.15: "Bleiben Sie entspannt", sagte mir der Uro, als sich heute doch wieder ein Anstieg des PSA zeigte (Bild aktualisiert!). "Egal ob Sie PSA 1 oder 10 haben, die Hauptsache ist, es geht Ihnen gut", meinte er. Nachdem ich bestätigt hatte, dass ich wieder mit dem Fahrrad zum Termin gekommen bin, schrieb er "klinisch ohne Befund" in den Nachsorgekalender.
Ich will mich bemühen, entspannt den Sommer zu genießen. Bezogen auf den PSA=1 Wert ist ein halbes Jahr gewonnen, um es einmal positiv zu sehen. Und es war ein gutes halbes Jahr, das hinter mir liegt!