SZ: Frau
Anwar, hat Sie schon mal ein Patient nach einem tödlichen Gift gefragt?
Petra Anwar:
Ja, natürlich, das ist ganz häufig. Vor allem bei meinem ersten Besuch bei
einem Kranken. Die Leute bekommen in der Klinik ihre Diagnose und werden dann
mit dem Satz „Wir können nichts mehr für Sie tun“ entlassen. Dann landen die
Menschen in so einem Vakuum, und die Angst baut sich auf. Dann kommt der Gedanke:
Lieber alles schnell hinter mich bringen, denn was kommt, kann nur noch
schrecklich sein.
Ist das
Sterben wirklich so schrecklich?
Das Sterben
ist nicht schrecklich, wenn ich Zugang zu Palliativmedizin habe, wenn ich also
eingebettet bin in ein sicheres Netzwerk, das mir auch Nestwärme geben kann mit
Ärzten und Seelsorgern als Ansprechpartnern. Leider ist das nicht überall so,
und dann kann es schon schlimm werden. Dabei will ich jetzt auch nicht so tun,
als wäre ich Mrs. Perfekt, und alle können bei mir superselig sterben. Aber wir
können schon viel tun.
Was tun Sie
denn, wenn ein Kranker sich umbringen will?
Ich frage,
wovor er Angst hat. Ich sage: Wir sind bei Ihnen, egal was passiert. Der
Pflegedienst kommt jeden Tag gucken, Sie sind völlig abgesichert. Wir schau'n
erst mal, ob wir Ihre Leiden nicht so lindern können, dass Sie noch etwas von
Ihrem Leben haben. In der Regel relativiert sich dann der Sterbewunsch. Die
Menschen gewöhnen sich an ihre Situation, sie fragen auch nicht mehr: „Wie
lange noch?“ Sie fühlen sich sicher und kommen irgendwie zur Ruhe. Man ist dann
nur sehr selten damit konfrontiert, dass einer sagt, ich kann nicht mehr, ich
will jetzt die Spritze haben.
Wann erleben
Sie es dennoch? Bei Schmerzen?
Schmerzen
sind eigentlich nie ein Grund. Eher der Verlust der Autonomie. Es gibt
Patienten, die können es schwer ertragen, wenn sie im Bett liegen und nichts
mehr machen können. Das ist aber eher selten. Ich habe das oft bei Patienten
mit der Nervenkrankheit ALS erlebt. Da bleibt der Kopf klar, der Körper kann
nichts mehr. Sämtliche Muskeln versagen. Diese Patienten sind bis zum Schluss
völlig klar. Da machen sich viele Gedanken, ob sie Sterbehilfe in der Schweiz
in Anspruch nehmen sollen. Bei Krebspatienten ist das ganz anders. Sie werden
immer müder, schlafen immer mehr und schlafen irgendwann ein.
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