Bereits um 7 Uhr fallen jetzt die ersten Sonnenstrahlen auf das Wettersteinmassiv. Wir haben es noch einmal in "unser" Hotel geschafft, es gibt Zeit und Raum um Nachzudenken!
Krebs ist vor allem: Pech. Der Zufall spielt bei der Entstehung von Tumoren eine große Rolle. Und doch ist ein gesunder Lebensstil wichtig.
Warum ich? Diese Frage stellt sich wahrscheinlich jeder Krebspatient nach der Diagnose. Eine Antwort geben nun der Biostatistiker Cristian Tomasetti und der Krebsbiologe Bert Vogelstein: Zwei Drittel der Mutationen in 32 untersuchten Krebsarten entstehen schlicht durch Zufall bei der Vermehrung körpereigener, gesunder Stammzellen.
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Auch wenn sich durch ihre Erkenntnis die Entstehung eines Krebstumors nicht abwenden lässt, hoffen die Forscher, Menschen helfen zu können: "Wenn sich zum Beispiel Eltern krebskranker Kinder im Internet informieren wollen, weshalb ihr Kind erkrankt ist, werden sie vor allem Aussagen über vererbte Gene und Umwelteinflüsse als Erklärung finden. Das verursacht oft starke Schuldgefühle", sagt Vogelstein. Er wünscht sich, dass seine Arbeit beiträgt, Eltern diese Selbstvorwürfe zu ersparen.
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Bereits vor 2015 hatten die beiden mit diesem Konzept der Krebsentstehung für Aufruhr in der Fachwelt gesorgt. Vielfach wurde Krebs damals als "Pech" dargestellt und als wäre ein gesunder Lebensstil nutzlos. Dabei hatten Tomasetti und Vogelstein betont, dass trotz der großen Rolle des Zufalls 30 bis 40 Prozent aller Tumore vermeidbar wären - genauso wie Krebsmediziner oft betonen - etwa durch Verzicht auf Rauchen, Verminderung von starkem Übergewicht und anderen gesundheitsschädlichen Faktoren.
In der neuen Arbeit versuchen die beiden Wissenschaftler auch abzuschätzen, wie groß der Anteil der verschiedenen Faktoren bei der Entstehung von Tumoren ist. Nach den Berechnungen Tomasettis entstehen 77 Prozent der kritischen Mutationen, die zu Bauchspeicheldrüsenkrebs führen können, durch Zufall bei der Zellteilung, 18 Prozent durch Umwelteinflüsse und fünf Prozent sind vererbt. Bei Tumoren der Prostata und im Gehirn schätzt Tomasetti den Einfluss der Zufallsmutationen auf 95 Prozent, bei Lungenkrebs hingegen nur auf 35 Prozent.
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In ihrer neuen Studie geben sich Tomasetti und Vogelstein mehr Mühe, um nicht noch einmal den Eindruck zu erwecken, dass Krebs ein reiner Schicksalsschlag ist. Sie betonen, wie gefährlich Lebensstilfaktoren wie Rauchen sind und wie wichtig Vorsorge ist, um die unvermeidbaren Tumore frühzeitig erkennen und bekämpfen zu können. Die Erkrankten, die gesund gelebt haben, nicht geraucht, sich aber viel bewegt und vor der Sonne geschützt haben, für die hofft Vogelstein, dass sie zumindest etwas Trost darin finden, dass sie nichts hätten tun können, um ihre Krankheit abzuwenden.
Gesamter Artikel Süddeutsche Zeitung Montag, 27. März 2017 VON HANNO CHARISIUS
Prostatakrebs im fortgeschrittenen Stadium, hier will ich über meine Krankheit berichten
Dienstag, 28. März 2017
Donnerstag, 23. März 2017
5 Prozent
Es ist schon eine Weile her, dass ich Bilanz zu meiner Krankheit gezogen habe:
http://letztabent.blogspot.de/2015/02/diagnose-jubilaum-und-aussichten.html
Wenn ich heute auf mein Leben blicke, so macht die "Krankzeit" schon fast 5 % aus! Es ist doch was Wahres daran, dass der Krebs in vielen Fällen etwas von seinem Schrecken verloren hat und dank moderner Therapien über größere Zeiträume wie eine chronische Krankheit behandelt werden kann.
Die Chemo 17 heute tat mir gut, die Leute im Krankenhaus sind mit den Werten zufrieden und das Morphin konnte ich etwas reduzieren. Ist doch auch mal eine positive Aussage nach dem Schrecken, den der alte Flaschengeist zu verbreiten versuchte 😀 oder soll ich xD schreiben?
http://letztabent.blogspot.de/2015/02/diagnose-jubilaum-und-aussichten.html
Wenn ich heute auf mein Leben blicke, so macht die "Krankzeit" schon fast 5 % aus! Es ist doch was Wahres daran, dass der Krebs in vielen Fällen etwas von seinem Schrecken verloren hat und dank moderner Therapien über größere Zeiträume wie eine chronische Krankheit behandelt werden kann.
Die Chemo 17 heute tat mir gut, die Leute im Krankenhaus sind mit den Werten zufrieden und das Morphin konnte ich etwas reduzieren. Ist doch auch mal eine positive Aussage nach dem Schrecken, den der alte Flaschengeist zu verbreiten versuchte 😀 oder soll ich xD schreiben?
Dienstag, 21. März 2017
Stoff für Träume
Als ich dieses Bild vor etwa 60 Jahren gemalt habe, dachte ich nicht, dass es einmal eine Darstellung meiner Krankheit sein könnte.
Noch halte ich mich aufrecht, die Hand greift aber nach dem beschädigten Schädel.
Kaum zu erkennen, aber unübersehbar liegt hinter mir ein Skelett.
Nun, ich bin ja der Überzeugung, dass ER eines Tages siegen wird.
Aber für nächste Woche ist wieder einmal Kranzbach geplant.
Vorher liegt noch der nächste Docetaxel-Termin - in der Gesamtzählung der Chemos schon die Nr. 17.
Noch halte ich mich aufrecht, die Hand greift aber nach dem beschädigten Schädel.
Kaum zu erkennen, aber unübersehbar liegt hinter mir ein Skelett.
Nun, ich bin ja der Überzeugung, dass ER eines Tages siegen wird.
Aber für nächste Woche ist wieder einmal Kranzbach geplant.
Vorher liegt noch der nächste Docetaxel-Termin - in der Gesamtzählung der Chemos schon die Nr. 17.
Montag, 20. März 2017
Zeige deine Wunde
Man kann sein Leben beschreiben, wie es ist und wie man es sieht: beschissen und hoffnungslos und großartig und liebenswert
Im Internet geraten Krankheit und Tod wieder ins öffentliche Bewusstsein. Die Betroffenen finden dabei Trost, liefern sich aber auch aus
von matthias drobinski
Unmöglich, nicht berührt zu sein. Man möchte mitheulen, den Kerl in den Arm nehmen, der da in seinem Van sitzt und dem die Tränen aufs Lenkrad tropfen. Vor 20 Minuten hat man Joe Daley sehen können, wie er ins Pflegeheim fuhr, die Seele war noch im Gleichgewicht. Seine Mutter wohnt dort, seit sie sich selber nicht mehr versorgen kann. 66 Jahre ist sie gerade mal alt, sie hat diese Form von Demenz, die so furchtbar früh einsetzt und so furchtbar schnell voranschreitet. Joe Daley besucht seine Mutter regelmäßig, und jedes Mal ist ein bisschen verloren von ihrem Geist und Verstand. Der Sohn bewahrt tapfer den Optimismus und das breite Grinsen unter der Baseball-Kappe.
Doch diesmal bricht er zusammen. Er hat Molly, seine Mutter, ins Café ausgeführt, und wie sie sich da gegenübersitzen, weiß Molly nicht mehr, dass der Mann, der sie da ausführt, ihr Sohn ist. Joe bedrängt sie mit Fragen. Molly gibt sich alle Mühe, vergebens. Joe schafft es noch, sich mit einem Lächeln von seiner Mutter zu verabschieden. Dann geht nichts mehr.
Unmöglich, teilnahmslos zu bleiben. Da ist eine Frau, Mutter von vier Kindern, mit 46 Jahren mitten im Leben, schön, sportlich. Gemeinsam mit ihrem Mann führt sie ein bekanntes Restaurant in München. Und eines Tages weiß sie: Ihre Muskeln werden immer schwächer, sie wird sterben, an ALS, an Amyotropher Lateralsklerose. Doch Nina Zacher lebt ihr Leben bis zuletzt. Sie lässt Filme drehen über sich, sie zeigt sich gefasst und klar in den verschiedenen Stadien der Krankheit. Auf Facebook postet sie Witze übers Sterben. Im April 2016 ringt sie sich Buchstabe für Buchstabe auf dem Sprachcomputer einen Abschiedsbrief ab: „Ich bin täglich auf ein Neues überrascht, wie es möglich ist, immer noch am Leben zu sein. Ich bin mit nur noch 35 Kilo auf 1,78 mehr tot als lebendig.“ Sie schreibt, wie sich die Knochen durch die Haut bohren und über ihre unerträgliche Atemnot. Und über die Gleichgültigkeit vieler Menschen in ihrer Umgebung. „Ich lasse mir jetzt Flügel wachsen und werde ein Engel“, lautet ihr letzter Facebook-Eintrag.
Man kann mit Joe Daley weinen, weil er die Besuche bei seiner dementen Mutter mit dem Smartphone aufnimmt und auf Youtube zeigt. Man kann den Weg der tapferen und klugen Nina Zacher verfolgen, weil sie ihre Krankheit publik gemacht hat, auf Facebook und über die Reporter verschiedener Medien.
Immer schon gab es Menschen, die ihr Leiden und ihr Sterben öffentlich machten, manchmal gar zelebrierten. Der Dichter Heinrich Heine, der sich in seiner Pariser „Matratzengruft“ über seine tödliche Krankheit lustig machte, Marcel Proust, der in „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ seiner Gebrechlichkeit nachspürte. Oder Papst Johannes Paul II., der in seinen letzten Lebensjahren eine eigene Leidensmystik lebte. Im Netzzeitalter aber wird aus den Einzelnen ein Phänomen.
Julia Müller, 24, bloggt, seit sie vor drei Jahren die Diagnose bekam: Morbus Hodgkin, Lymphdrüsenkrebs. Sie hat den Krebs überwunden, will aber Mutmacherin sein für andere, ihre Seite ist eine Austauschplattform für Betroffene geworden. Benni Wollmershäuser schreibt in seinem Blog „Cancelling Cancer“ über seinen künstlichen Darmausgang: „Es bedeutet, dass der Darm im Zuge einer Operation durch die Bauchdecke nach außen geführt wird. Dort wird er wie ein Schlauch umgestülpt und vernäht. Hört sich komisch an, ist aber so.“ Wer ein bisschen sucht, der findet in den Weiten des Netzes ziemlich viele Menschen, die ziemlich viel und ziemlich offen über ihre Krankheiten schreiben, Bilder posten, sich mit Gleichgesinnten austauschen.
Es ändert sich gerade etwas ganz Wesentliches: unser Blick auf das Unvermeidbare, auf Krankheit und Tod. Sie rücken ins öffentliche Bewusstsein. Lange schienen sie an den Rand gedrängt zu sein, in Krankenhäuser, Intensiv- und Palliativstationen, den Blicken der Gesunden verborgen. Krankheit und Tod waren dem Alltag fern, sie waren fremd, monströs, übermächtig, der Krebs war den Boulevardzeitungen der große Angstmacher – als abstrakte Bedrohung. Doch das Tabu ist seit einiger Zeit gebrochen.
Es gibt die Debatte über das gute oder unerträgliche Lebensende und die Frage, ob und wann assistierter Suizid erlaubt sein sollte. Es gibt Filme über das Kranksein und Sterben wie Andreas Dresens „Halt auf freier Strecke“ über einen Mann, der erfährt, dass er einen Hirntumor hat, Michael Hanekes „Liebe“ über einen Mann, der seine todkranke Frau erstickt. 2015 erhielt die Schauspielerin Julianne Moore einen Oscar für ihre Rolle als demenzkranke Alice. Die Zahl der Bücher über das eigene Sterben oder das Sterben von Angehörigen wird unüberschaubar.
Nirgendwo aber ist der Umgang mit dem Thema radikaler, unmittelbarer als im Netz. Es gibt dort ja die bekannten Echoräume des Gewalttätigen und Aggressiven, des Verschwörungstheoretischen und der Fremdenfeindschaft, die verschiedenen Kammern des Schreckens. Es gibt im Netz aber auch die Echoräume des Mitleids, der Anteilnahme und der Solidarität; Orte des Austauschs und des trotzigen Selbstbewusstseins im Angesicht der Grenzen des Lebens, der leisen Trauer und des gerechten Zorns. Man muss hier nicht berühmt oder besonders sein, um seine Geschichte öffentlich machen zu können. Man braucht keinen Verleger, der lustvoll grinsend sagt: Das werden uns die Leute vom Büchertisch reißen. Man kann sein Leben beschreiben, wie es ist und wie man es sieht: beschissen und hoffnungslos und großartig und liebenswert.
Und die Leute interessiert das, sie bekommen nicht genug davon. Joe Daleys Geschichten über den langsamen Abschied von der Mutter haben mehr als 31000 Abonnenten; mehr als 3300 haben die Episode kommentiert, in der Molly ihren Sohn nicht mehr erkennt. Mitleid und Ermunterung kommen sogar aus Saudi-Arabien, viele schrieben ein kurzes „God bless you“ oder „Strong man!“, schicken Herzen und hochgereckte Daumen: nicht unterkriegen lassen, Junge. Einer rät dem Sohn, die Mutter nicht so sehr unter Druck zu setzen. Einer sagt: Natürlich erkennt sie dich, sieh doch nur, wie vertraut sie mit dir ist. Sie weiß halt deinen Namen nicht mehr.
Nina Zacher hatte mehr als 44000 Facebook-Freunde. Allein die Nachricht von ihrem Tod wurde mehr als 12000 Mal geteilt, ein Strom von Herzen, Trauerbekundungen und guten Wünschen ergoss sich über die Hinterbliebenen. Kommt es den Kranken, Sterbenden und Trauernden darauf an: möglichst viel Anteilnahme zu erhalten? Die Münchner Wirtin und Joe Daley, der Mann aus Amerika – sie beide legen Wert darauf, dass es nicht nur darum geht. Ja, Anteilnahme und Aufmerksamkeit tun gut, und natürlich sind die Blogs auch Formen des therapeutischen Schreibens; für Opfer sexueller Gewalt zum Beispiel kann es sehr wichtig sein, gegen ein verschweigendes und verdrängendes Umfeld öffentlich bestätigt zu werden: Du hast recht.
Nina Zacher, Joe Daley und viele andere wollen aber mehr. Sie wollen aufklären, Vorurteile überwinden, die Mauern niederreißen, die Krankheit und Sterben umgeben. Nina Zacher kämpfte um Aufmerksamkeit für die immer noch wenig erforschte Erkrankung ALS, Joe Daleys Videos haben eine tröstliche Botschaft: Man kann mit demenzkranken Angehörigen Spaß, Freude, Glück erleben. Der Sohn findet sich damit ab, dass die Mutter seinen Namen nicht mehr weiß. Und man sieht eine Frau, die in unschuldiger Freude Geschenke entgegennimmt, auch wenn sie nicht weiß, dass an diesem Tag ihr Geburtstag ist; man sieht ihren Sohn, der sich über dieses ahnungslose Glück freuen kann.
Nein, da ist nichts Verlogenes, nichts, worüber man sich erheben sollte, was der Enttarnung bedürfte. Ja, das ist eine gute Seite des Netzes. Und doch passiert etwas Eigenartiges. Es taucht ein Unbehagen auf, leise erst, dann wächst es, je mehr man sieht und liest. Man hat das Gefühl, Voyeur zu sein, unerlaubter Teilnehmer fremden Leids, Unglücks und Kampfes. Es sind ja keine Kunstfiguren, deren Leben und Sterben man da verfolgt, wie im Film oder Roman. Es ist nicht die Inszenierung wie beim Schriftsteller Wolfgang Herrndorf, der sein Leben mit der Krankheit bis zu seinem dramatischen Ende per Pistolenschuss dokumentierte. Es sind echte Menschen in Echtzeit, die da die Gardinen an den Fenstern des Privaten zurückziehen und allen zurufen: Bitte hineinsehen!
Und soll man das dann? Hineinschauen, sich an den Rand der Tränen bringen lassen, vielleicht selber ein paar Herzen und Daumen und Wünsche schicken, danach aber wieder umschalten? Ist das nicht merkwürdig selbstbezogen: Man nutzt das Leid der Anderen, um sich, in einer Art Katharsis, besser zu fühlen, durch eine Aktion, die einen in Wahrheit fast nichts kostet, die keine echte Nähe herstellt, sondern nur eine virtuelle? Und dann poppt auf dem Bildschirm, mitten in diesen Gedanken, ein Fenster auf: Umfrage. Spielen Sie gerne Computerspiele? Wenn ja, lieber Quizduelle, Strategiespiele oder Egoshooter? Bitte antworten. Attraktive Preise winken!
Das ist sicher empfindlich, vielleicht überempfindlich. Es haben doch die Menschen selber die Gardine weggezogen, das Fenster geöffnet: Sieh hin, nimm uns wahr, überprüfe deine Vorurteile, stelle dich deinen Ängsten vor Krankheit und Tod! Ja, das soll man, dringend.
Das Unbehagen kommt auch weniger von den Menschen her, anders als bei jenen, die der Welt ihre politischen Ansichten, bevorzugten Haustiere, hochbegabten Kinder oder sexuelle Vorlieben präsentieren und sich dann über den Voyeurismus und die Häme der Welt wundern. Das Unbehagen kommt daher, dass hier der Raum zwischen Öffentlichem und Privatem so unbestimmt ist: Was so privat und intim aussieht, ist weltweit einsehbar, benutzbar, missbräuchlich, selbst über den eigenen Tod hinaus. Es beginnt ein Eigenleben. In dem Moment, da es veröffentlicht ist, kann es Munition werden für Sadisten, Zyniker und Euthanasiefantasten. Und es kann, noch schlimmer, im Extremfall zur Entscheidungshilfe werden für Krankenversicherungen und Arbeitgeber: Aha, die hat gerade den Krebs überwunden – die nehmen wir nicht. Und einer mit Depression – wer weiß, ob das nicht wiederkommt!
Das alles gibt man ab ins Unbekannte, ausgeliefert der Hierarche des Mitleids: Burn-out klingt gut, der Arme war halt überarbeitet. Eine Krankheit, gekommen wie ein böser Gast aus heiterem Himmel, verdient größte Anteilnahme. Womit aber können jene rechnen, die zu dick sind, die durch ihre Krankheit zunehmend aggressiv werden, deren Leberschaden durch den Suff kommt? Eigentlich müsste man ihnen raten: Bleibt auf jeden Fall stumm inmitten des allgemeinen Redens.
Und letztlich ersetzt die virtuelle doch nicht die reale Zuneigung. Kurz vor ihrem Tod schrieb Nina Zacher: „Mein Geburtstag vor zwei Wochen war eine extrem bittere Enttäuschung. Im Smartphone-Zeitalter ist scheinbar alles, was persönlicher ist als eine elektronische Nachricht, auch wenn es mein letzter Geburtstag war, noch zu viel erwartet. Wahrscheinlich erwartet man zu viel. Dennoch hätte ich mich so sehr über ein, zwei kleine bunt verpackte Sinnlosigkeiten gefreut.“
Die Zeichen der Rührung, die Sympathiebekundungen im Netz ersetzen am Ende keine Umarmung und keine echten Tränen, die der andere auch spüren kann.
Quelle
Verlag Süddeutsche Zeitung
Datum Samstag, den 18. März 2017
Seite 45
Drei Jahre etwa schreibe ich nun schon, so wie etwa Benni Wollmershäuser, den ich kennen lernen durfte, in meinem Blog. Der Blog hat mir geholfen, mit der Krankheit fertig zu werten und ich habe bisher nur gute Erfahrungen damit gemacht. Heute im März 2017 "tritt mein Krebs eher auf der Stelle" und über Leben, Krankheit, Sterben und Tod ist eigentlich alles geschrieben. Trotzdem habe ich noch treue Leser und die Zugriffszahl liegt in der Gegend von 90.000. Aber irgendwann wird er siegen - mein Krebs!
Im Internet geraten Krankheit und Tod wieder ins öffentliche Bewusstsein. Die Betroffenen finden dabei Trost, liefern sich aber auch aus
von matthias drobinski
Unmöglich, nicht berührt zu sein. Man möchte mitheulen, den Kerl in den Arm nehmen, der da in seinem Van sitzt und dem die Tränen aufs Lenkrad tropfen. Vor 20 Minuten hat man Joe Daley sehen können, wie er ins Pflegeheim fuhr, die Seele war noch im Gleichgewicht. Seine Mutter wohnt dort, seit sie sich selber nicht mehr versorgen kann. 66 Jahre ist sie gerade mal alt, sie hat diese Form von Demenz, die so furchtbar früh einsetzt und so furchtbar schnell voranschreitet. Joe Daley besucht seine Mutter regelmäßig, und jedes Mal ist ein bisschen verloren von ihrem Geist und Verstand. Der Sohn bewahrt tapfer den Optimismus und das breite Grinsen unter der Baseball-Kappe.
Doch diesmal bricht er zusammen. Er hat Molly, seine Mutter, ins Café ausgeführt, und wie sie sich da gegenübersitzen, weiß Molly nicht mehr, dass der Mann, der sie da ausführt, ihr Sohn ist. Joe bedrängt sie mit Fragen. Molly gibt sich alle Mühe, vergebens. Joe schafft es noch, sich mit einem Lächeln von seiner Mutter zu verabschieden. Dann geht nichts mehr.
Unmöglich, teilnahmslos zu bleiben. Da ist eine Frau, Mutter von vier Kindern, mit 46 Jahren mitten im Leben, schön, sportlich. Gemeinsam mit ihrem Mann führt sie ein bekanntes Restaurant in München. Und eines Tages weiß sie: Ihre Muskeln werden immer schwächer, sie wird sterben, an ALS, an Amyotropher Lateralsklerose. Doch Nina Zacher lebt ihr Leben bis zuletzt. Sie lässt Filme drehen über sich, sie zeigt sich gefasst und klar in den verschiedenen Stadien der Krankheit. Auf Facebook postet sie Witze übers Sterben. Im April 2016 ringt sie sich Buchstabe für Buchstabe auf dem Sprachcomputer einen Abschiedsbrief ab: „Ich bin täglich auf ein Neues überrascht, wie es möglich ist, immer noch am Leben zu sein. Ich bin mit nur noch 35 Kilo auf 1,78 mehr tot als lebendig.“ Sie schreibt, wie sich die Knochen durch die Haut bohren und über ihre unerträgliche Atemnot. Und über die Gleichgültigkeit vieler Menschen in ihrer Umgebung. „Ich lasse mir jetzt Flügel wachsen und werde ein Engel“, lautet ihr letzter Facebook-Eintrag.
Man kann mit Joe Daley weinen, weil er die Besuche bei seiner dementen Mutter mit dem Smartphone aufnimmt und auf Youtube zeigt. Man kann den Weg der tapferen und klugen Nina Zacher verfolgen, weil sie ihre Krankheit publik gemacht hat, auf Facebook und über die Reporter verschiedener Medien.
Immer schon gab es Menschen, die ihr Leiden und ihr Sterben öffentlich machten, manchmal gar zelebrierten. Der Dichter Heinrich Heine, der sich in seiner Pariser „Matratzengruft“ über seine tödliche Krankheit lustig machte, Marcel Proust, der in „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ seiner Gebrechlichkeit nachspürte. Oder Papst Johannes Paul II., der in seinen letzten Lebensjahren eine eigene Leidensmystik lebte. Im Netzzeitalter aber wird aus den Einzelnen ein Phänomen.
Julia Müller, 24, bloggt, seit sie vor drei Jahren die Diagnose bekam: Morbus Hodgkin, Lymphdrüsenkrebs. Sie hat den Krebs überwunden, will aber Mutmacherin sein für andere, ihre Seite ist eine Austauschplattform für Betroffene geworden. Benni Wollmershäuser schreibt in seinem Blog „Cancelling Cancer“ über seinen künstlichen Darmausgang: „Es bedeutet, dass der Darm im Zuge einer Operation durch die Bauchdecke nach außen geführt wird. Dort wird er wie ein Schlauch umgestülpt und vernäht. Hört sich komisch an, ist aber so.“ Wer ein bisschen sucht, der findet in den Weiten des Netzes ziemlich viele Menschen, die ziemlich viel und ziemlich offen über ihre Krankheiten schreiben, Bilder posten, sich mit Gleichgesinnten austauschen.
Es ändert sich gerade etwas ganz Wesentliches: unser Blick auf das Unvermeidbare, auf Krankheit und Tod. Sie rücken ins öffentliche Bewusstsein. Lange schienen sie an den Rand gedrängt zu sein, in Krankenhäuser, Intensiv- und Palliativstationen, den Blicken der Gesunden verborgen. Krankheit und Tod waren dem Alltag fern, sie waren fremd, monströs, übermächtig, der Krebs war den Boulevardzeitungen der große Angstmacher – als abstrakte Bedrohung. Doch das Tabu ist seit einiger Zeit gebrochen.
Es gibt die Debatte über das gute oder unerträgliche Lebensende und die Frage, ob und wann assistierter Suizid erlaubt sein sollte. Es gibt Filme über das Kranksein und Sterben wie Andreas Dresens „Halt auf freier Strecke“ über einen Mann, der erfährt, dass er einen Hirntumor hat, Michael Hanekes „Liebe“ über einen Mann, der seine todkranke Frau erstickt. 2015 erhielt die Schauspielerin Julianne Moore einen Oscar für ihre Rolle als demenzkranke Alice. Die Zahl der Bücher über das eigene Sterben oder das Sterben von Angehörigen wird unüberschaubar.
Nirgendwo aber ist der Umgang mit dem Thema radikaler, unmittelbarer als im Netz. Es gibt dort ja die bekannten Echoräume des Gewalttätigen und Aggressiven, des Verschwörungstheoretischen und der Fremdenfeindschaft, die verschiedenen Kammern des Schreckens. Es gibt im Netz aber auch die Echoräume des Mitleids, der Anteilnahme und der Solidarität; Orte des Austauschs und des trotzigen Selbstbewusstseins im Angesicht der Grenzen des Lebens, der leisen Trauer und des gerechten Zorns. Man muss hier nicht berühmt oder besonders sein, um seine Geschichte öffentlich machen zu können. Man braucht keinen Verleger, der lustvoll grinsend sagt: Das werden uns die Leute vom Büchertisch reißen. Man kann sein Leben beschreiben, wie es ist und wie man es sieht: beschissen und hoffnungslos und großartig und liebenswert.
Und die Leute interessiert das, sie bekommen nicht genug davon. Joe Daleys Geschichten über den langsamen Abschied von der Mutter haben mehr als 31000 Abonnenten; mehr als 3300 haben die Episode kommentiert, in der Molly ihren Sohn nicht mehr erkennt. Mitleid und Ermunterung kommen sogar aus Saudi-Arabien, viele schrieben ein kurzes „God bless you“ oder „Strong man!“, schicken Herzen und hochgereckte Daumen: nicht unterkriegen lassen, Junge. Einer rät dem Sohn, die Mutter nicht so sehr unter Druck zu setzen. Einer sagt: Natürlich erkennt sie dich, sieh doch nur, wie vertraut sie mit dir ist. Sie weiß halt deinen Namen nicht mehr.
Nina Zacher hatte mehr als 44000 Facebook-Freunde. Allein die Nachricht von ihrem Tod wurde mehr als 12000 Mal geteilt, ein Strom von Herzen, Trauerbekundungen und guten Wünschen ergoss sich über die Hinterbliebenen. Kommt es den Kranken, Sterbenden und Trauernden darauf an: möglichst viel Anteilnahme zu erhalten? Die Münchner Wirtin und Joe Daley, der Mann aus Amerika – sie beide legen Wert darauf, dass es nicht nur darum geht. Ja, Anteilnahme und Aufmerksamkeit tun gut, und natürlich sind die Blogs auch Formen des therapeutischen Schreibens; für Opfer sexueller Gewalt zum Beispiel kann es sehr wichtig sein, gegen ein verschweigendes und verdrängendes Umfeld öffentlich bestätigt zu werden: Du hast recht.
Nina Zacher, Joe Daley und viele andere wollen aber mehr. Sie wollen aufklären, Vorurteile überwinden, die Mauern niederreißen, die Krankheit und Sterben umgeben. Nina Zacher kämpfte um Aufmerksamkeit für die immer noch wenig erforschte Erkrankung ALS, Joe Daleys Videos haben eine tröstliche Botschaft: Man kann mit demenzkranken Angehörigen Spaß, Freude, Glück erleben. Der Sohn findet sich damit ab, dass die Mutter seinen Namen nicht mehr weiß. Und man sieht eine Frau, die in unschuldiger Freude Geschenke entgegennimmt, auch wenn sie nicht weiß, dass an diesem Tag ihr Geburtstag ist; man sieht ihren Sohn, der sich über dieses ahnungslose Glück freuen kann.
Nein, da ist nichts Verlogenes, nichts, worüber man sich erheben sollte, was der Enttarnung bedürfte. Ja, das ist eine gute Seite des Netzes. Und doch passiert etwas Eigenartiges. Es taucht ein Unbehagen auf, leise erst, dann wächst es, je mehr man sieht und liest. Man hat das Gefühl, Voyeur zu sein, unerlaubter Teilnehmer fremden Leids, Unglücks und Kampfes. Es sind ja keine Kunstfiguren, deren Leben und Sterben man da verfolgt, wie im Film oder Roman. Es ist nicht die Inszenierung wie beim Schriftsteller Wolfgang Herrndorf, der sein Leben mit der Krankheit bis zu seinem dramatischen Ende per Pistolenschuss dokumentierte. Es sind echte Menschen in Echtzeit, die da die Gardinen an den Fenstern des Privaten zurückziehen und allen zurufen: Bitte hineinsehen!
Und soll man das dann? Hineinschauen, sich an den Rand der Tränen bringen lassen, vielleicht selber ein paar Herzen und Daumen und Wünsche schicken, danach aber wieder umschalten? Ist das nicht merkwürdig selbstbezogen: Man nutzt das Leid der Anderen, um sich, in einer Art Katharsis, besser zu fühlen, durch eine Aktion, die einen in Wahrheit fast nichts kostet, die keine echte Nähe herstellt, sondern nur eine virtuelle? Und dann poppt auf dem Bildschirm, mitten in diesen Gedanken, ein Fenster auf: Umfrage. Spielen Sie gerne Computerspiele? Wenn ja, lieber Quizduelle, Strategiespiele oder Egoshooter? Bitte antworten. Attraktive Preise winken!
Das ist sicher empfindlich, vielleicht überempfindlich. Es haben doch die Menschen selber die Gardine weggezogen, das Fenster geöffnet: Sieh hin, nimm uns wahr, überprüfe deine Vorurteile, stelle dich deinen Ängsten vor Krankheit und Tod! Ja, das soll man, dringend.
Das Unbehagen kommt auch weniger von den Menschen her, anders als bei jenen, die der Welt ihre politischen Ansichten, bevorzugten Haustiere, hochbegabten Kinder oder sexuelle Vorlieben präsentieren und sich dann über den Voyeurismus und die Häme der Welt wundern. Das Unbehagen kommt daher, dass hier der Raum zwischen Öffentlichem und Privatem so unbestimmt ist: Was so privat und intim aussieht, ist weltweit einsehbar, benutzbar, missbräuchlich, selbst über den eigenen Tod hinaus. Es beginnt ein Eigenleben. In dem Moment, da es veröffentlicht ist, kann es Munition werden für Sadisten, Zyniker und Euthanasiefantasten. Und es kann, noch schlimmer, im Extremfall zur Entscheidungshilfe werden für Krankenversicherungen und Arbeitgeber: Aha, die hat gerade den Krebs überwunden – die nehmen wir nicht. Und einer mit Depression – wer weiß, ob das nicht wiederkommt!
Das alles gibt man ab ins Unbekannte, ausgeliefert der Hierarche des Mitleids: Burn-out klingt gut, der Arme war halt überarbeitet. Eine Krankheit, gekommen wie ein böser Gast aus heiterem Himmel, verdient größte Anteilnahme. Womit aber können jene rechnen, die zu dick sind, die durch ihre Krankheit zunehmend aggressiv werden, deren Leberschaden durch den Suff kommt? Eigentlich müsste man ihnen raten: Bleibt auf jeden Fall stumm inmitten des allgemeinen Redens.
Und letztlich ersetzt die virtuelle doch nicht die reale Zuneigung. Kurz vor ihrem Tod schrieb Nina Zacher: „Mein Geburtstag vor zwei Wochen war eine extrem bittere Enttäuschung. Im Smartphone-Zeitalter ist scheinbar alles, was persönlicher ist als eine elektronische Nachricht, auch wenn es mein letzter Geburtstag war, noch zu viel erwartet. Wahrscheinlich erwartet man zu viel. Dennoch hätte ich mich so sehr über ein, zwei kleine bunt verpackte Sinnlosigkeiten gefreut.“
Die Zeichen der Rührung, die Sympathiebekundungen im Netz ersetzen am Ende keine Umarmung und keine echten Tränen, die der andere auch spüren kann.
Quelle
Verlag Süddeutsche Zeitung
Datum Samstag, den 18. März 2017
Seite 45
Drei Jahre etwa schreibe ich nun schon, so wie etwa Benni Wollmershäuser, den ich kennen lernen durfte, in meinem Blog. Der Blog hat mir geholfen, mit der Krankheit fertig zu werten und ich habe bisher nur gute Erfahrungen damit gemacht. Heute im März 2017 "tritt mein Krebs eher auf der Stelle" und über Leben, Krankheit, Sterben und Tod ist eigentlich alles geschrieben. Trotzdem habe ich noch treue Leser und die Zugriffszahl liegt in der Gegend von 90.000. Aber irgendwann wird er siegen - mein Krebs!
Donnerstag, 16. März 2017
Spülmaschine
Was hat das nun schon wieder mit meiner Krankheit zu tun???
Viele Jahre war sie zuverlässig zu Dienst, doch dann fing sie an, kurz nach dem Start mit einem Piepton "fertig" zu melden, obwohl sie überhaupt nicht gespült hatte. Meist half ein ein Neustart oder auch zweiter. Für mich als Ingenieur natürlich eine Herausforderung, der Sache auf den Grund zu gehen. Ich studierte die kryptischen Fehlermeldungen und alle erhältlichen Beschreibungen. Das Innenleben der Maschine zu inspizieren, war bei meiner körperlichen Verfassung nur noch sehr beschränkt möglich. Also doch kapitulieren und zum Arzt gehen! Der Kundendiensttechniker erinnerte mich tatsächlich an meine Onkologen. Er sagte nicht viel, aber ich merkte, dass er in seinem Erfahrungsschatz schnell die Lage beurteilte: Eine Reparatur lohnt sich nicht mehr!
In meinem anderen Leben hätte ich das nicht so ohne weiteres akzeptiert und mich selbst an´s Werk gemacht. Doch nun muss ich überlegen, welche Andenken ich meinen Angehörigen hinterlasse, und mit einer fadenscheinigen, selbst gemachten Reparatur möchte ich mich nicht in Erinnerung rufen. Bestellt und geliefert ist heute schnell.
Wenn es mit Ersatzteilen für mich auch so einfach wäre, hätte ich heute schon eine neue linke Kopfhälfte und meine Frau müsste mich z.B. nicht darauf hinweisen, dass die Nase tropft, was ich nicht mehr spüre ...
Nachtrag am 17.3.: Es ist schön, die Maschine läuft und sieht auch gut aus, doch noch was geschafft!
Viele Jahre war sie zuverlässig zu Dienst, doch dann fing sie an, kurz nach dem Start mit einem Piepton "fertig" zu melden, obwohl sie überhaupt nicht gespült hatte. Meist half ein ein Neustart oder auch zweiter. Für mich als Ingenieur natürlich eine Herausforderung, der Sache auf den Grund zu gehen. Ich studierte die kryptischen Fehlermeldungen und alle erhältlichen Beschreibungen. Das Innenleben der Maschine zu inspizieren, war bei meiner körperlichen Verfassung nur noch sehr beschränkt möglich. Also doch kapitulieren und zum Arzt gehen! Der Kundendiensttechniker erinnerte mich tatsächlich an meine Onkologen. Er sagte nicht viel, aber ich merkte, dass er in seinem Erfahrungsschatz schnell die Lage beurteilte: Eine Reparatur lohnt sich nicht mehr!
In meinem anderen Leben hätte ich das nicht so ohne weiteres akzeptiert und mich selbst an´s Werk gemacht. Doch nun muss ich überlegen, welche Andenken ich meinen Angehörigen hinterlasse, und mit einer fadenscheinigen, selbst gemachten Reparatur möchte ich mich nicht in Erinnerung rufen. Bestellt und geliefert ist heute schnell.
Wenn es mit Ersatzteilen für mich auch so einfach wäre, hätte ich heute schon eine neue linke Kopfhälfte und meine Frau müsste mich z.B. nicht darauf hinweisen, dass die Nase tropft, was ich nicht mehr spüre ...
Nachtrag am 17.3.: Es ist schön, die Maschine läuft und sieht auch gut aus, doch noch was geschafft!
Freitag, 10. März 2017
Brief an die Selbsthilfegruppe
Bald nach meiner Diagnose bekam ich Kontakt zu unserer örtlichen Selbsthilfegruppe PROCAS
Da auf der Seite von PROCAS auch ein Link zu meinem Blog führt, möchte ich mich direkt an die Mitglieder unserer Gruppe wenden, die meist recht zahlreich zu den Treffen alle 2 Monate kommen.
Zunächst sind wir Prostatabetroffene ja alle an medizinischen Informationen interessiert, um optimal mit unserer Krankheit umgehen zu können. Gerade für die "Anfänger", wenn ich das mal so nennen darf, gibt es Ansprechpartner und Hilfe, die besser ist, als das, was man im Internet findet. Ich habe natürlich auch das Internet durchpflügt und empfehle immer wieder myprostate.eu, wo auch ich meine medizinischen Daten für jeden zur Einsicht eingetragen habe. Dort wird nicht diskutiert, aber man kann die Verläufe und Berichte von anderen Patienten sehen, daraus lernen und auch persönlich Kontakt aufnehmen. Ich habe dort gute Ratschläge bekommen und auch einen Freund gefunden, der leider schon verstorben ist.
Mein Problem ist nun, dass bei mir nach 3 Jahren seit Diagnose "unheilbar" alle Therapiemöglichkeiten weitgehend ausgeschöpft sind. Ich bemerke bei den Ärzten eine gewisse Ratlosigkeit, was man mit mir noch machen könnte. So bekomme ich aktuell noch einmal eine palliative Chemo mit Docetaxel, die mir gut tut. Die schlimmen Erwartungen bezüglich Chemo haben sich bei mir kaum gezeigt. Dazu erhalte ich ausreichend Morphin gegen die Knochenschmerzen, die mich schon sehr geplagt haben und zeitweise den letzten Rest an Lebensfreude kosteten.
Aus diesem Grund sammle ich in meinem Blog heute auch mehr Gedanken über das Leben allgemein und das Ende des Weges mit unserer Krankheit. Daher kann ich auch in der SHG nicht mehr viel beitragen, außer alle Männer zu ermuntern, sich rechtzeitig um die Prostata zu kümmern.
Wie schwer es ist, das Ende tatsächlich vorherzusagen, haben wir an einem, auch "fortgeschrittenen" Mitglied unserer SHG gesehen. Als ich im Herbst 2015 beim Prostatatag einen Kurzvortrag aus der Sicht eines Betroffenen halten durfte (dank Hormontherapie ging es mir damals sehr gut), sprach mich dieser Herr noch an. Er fand meinen Vortrag gut, aber ich hätte zu viel über den Tod gesprochen. Einige Wochen später erfuhr ich, dass er Anfang 2016 verstorben ist, aber noch viele Pläne hatte, was er tun wollte ...
Da auf der Seite von PROCAS auch ein Link zu meinem Blog führt, möchte ich mich direkt an die Mitglieder unserer Gruppe wenden, die meist recht zahlreich zu den Treffen alle 2 Monate kommen.
Zunächst sind wir Prostatabetroffene ja alle an medizinischen Informationen interessiert, um optimal mit unserer Krankheit umgehen zu können. Gerade für die "Anfänger", wenn ich das mal so nennen darf, gibt es Ansprechpartner und Hilfe, die besser ist, als das, was man im Internet findet. Ich habe natürlich auch das Internet durchpflügt und empfehle immer wieder myprostate.eu, wo auch ich meine medizinischen Daten für jeden zur Einsicht eingetragen habe. Dort wird nicht diskutiert, aber man kann die Verläufe und Berichte von anderen Patienten sehen, daraus lernen und auch persönlich Kontakt aufnehmen. Ich habe dort gute Ratschläge bekommen und auch einen Freund gefunden, der leider schon verstorben ist.
Mein Problem ist nun, dass bei mir nach 3 Jahren seit Diagnose "unheilbar" alle Therapiemöglichkeiten weitgehend ausgeschöpft sind. Ich bemerke bei den Ärzten eine gewisse Ratlosigkeit, was man mit mir noch machen könnte. So bekomme ich aktuell noch einmal eine palliative Chemo mit Docetaxel, die mir gut tut. Die schlimmen Erwartungen bezüglich Chemo haben sich bei mir kaum gezeigt. Dazu erhalte ich ausreichend Morphin gegen die Knochenschmerzen, die mich schon sehr geplagt haben und zeitweise den letzten Rest an Lebensfreude kosteten.
Aus diesem Grund sammle ich in meinem Blog heute auch mehr Gedanken über das Leben allgemein und das Ende des Weges mit unserer Krankheit. Daher kann ich auch in der SHG nicht mehr viel beitragen, außer alle Männer zu ermuntern, sich rechtzeitig um die Prostata zu kümmern.
Wie schwer es ist, das Ende tatsächlich vorherzusagen, haben wir an einem, auch "fortgeschrittenen" Mitglied unserer SHG gesehen. Als ich im Herbst 2015 beim Prostatatag einen Kurzvortrag aus der Sicht eines Betroffenen halten durfte (dank Hormontherapie ging es mir damals sehr gut), sprach mich dieser Herr noch an. Er fand meinen Vortrag gut, aber ich hätte zu viel über den Tod gesprochen. Einige Wochen später erfuhr ich, dass er Anfang 2016 verstorben ist, aber noch viele Pläne hatte, was er tun wollte ...
Mittwoch, 8. März 2017
DAS bin ich
Bevor sie stirbt, offenbart sie ihre wahre Identität. Den Pflegern bleibt die Spucke weg…
Manchmal lohnt es sich genau hinzusehen!
Author: Viola Herrmann
Sterben gehört in Pflege- und Altersheimen zum Alltag. Oft werden die Patienten und Bewohner, bevor sie die Welt verlassen, so gut wie nie von Angehörigen besucht. Sehnsüchtig sitzen die Alten nur noch da und warten. Warten auf den Tod – oder auf eine Nachricht von ihren Familien. Sie sind einsam, verbittert und traurig. Meist geben sie deshalb jeglichen Lebenswillen schnell auf.
Genauso erschien es den Pflegern auch bei dieser alten Dame. Sie glaubten, sie sei senil und sehne sich nach dem Tod. Hin und wieder murmelte die Seniorin etwas vor sich hin, das böse und giftig klang. Geistig schien sie schon lange nicht mehr auf der Höhe zu sein.
Nachdem die alte Frau gestorben war, räumten die Pfleger ihre Sachen zusammen. Dabei entdeckten sie einen Zettel. In krakeliger Schrift war zu lesen:
„Liebe Pfleger und Schwestern,
wen glaubt ihr zu erkennen, wenn ihr mir in die Augen blickt? Eine merkwürdige, verbitterte, alte Frau, die sehnsüchtig ins Leere starrt. Eine Frau, die nicht reagieren will, obwohl man sie andauernd darum bittet. Eine Frau, die ihr Essen einfach wieder ausspuckt. Ihr denkt, ich bekäme nichts mehr mit von der Welt. Ständig verliere ich Schuhe oder Kleidungsstücke. Widerspenstig lasse ich mich von euch baden und füttern. Immer darauf hoffend, dass der Tag schnell vorübergeht. Ist es das, was ihr über mich denkt? Ja? Dann seht diesmal genau hin! Denn DAS bin ich nicht. Auch, wenn ich mich ruhig verhalte – weil ihr es mir angeordnet habt.
DAS bin ich:
Ein Mädchen. Gerade einmal zehn Jahre alt, mit Mutter und Vater. Mit Geschwistern und einer liebenden Familie. Ich bin sechzehn und besitze Flügel. Träume von der Liebe! Ich bin eine 20-jährige, wunderschöne Braut und mein Herz tanzt vor Freude. Denn es gibt ein Versprechen für die Ewigkeit. Ich bin Mutter. Ich bin 30 und meine Kinder brauchen mich. Ich bin glücklich. Meine Kinder sind erwachsen und ich bin 40 Jahre alt. Doch ich bin glücklich, denn ich besitze eine liebende Familie. Als ich 50 Jahre alt bin, sind meine Kinder längst ausgezogen. Doch mein Mann ist noch hier. Ich bin glücklich. Ich bin eine 60-jährige Oma und ich halte meine Enkelkinder im Arm.
Ich sitze, im Kreise meiner Familie und ich trauere. Mein geliebter Mann ist gestorben. Die Zukunft bringt Ungewissheit und Angst. Meine Kinder sind fort, mein Mann ist nun auch fort.
Ich erlebe eine Rückblende. Denke an all die vergangenen Jahre. Glückliche Jahre. Ich bin alt. Auch mit mir hat die Natur kein Erbarmen. Das Alter ist grausam und isoliert mich.
Kraft, Schönheit, Lebensfreude – alles ist dahin. Mein Herz ist erkaltet. Doch das Mädchen in mir lebt noch. Und es liebt noch. Ich reise zurück und erlebe alles noch einmal. Viel zu schnell ist mein Leben vorüber gegangen. Ich akzeptiere, dass nichts für die Ewigkeit festzuhalten ist.
Deshalb: öffnet eure Augen! Seht ganz genau hin! Denn DAS bin ich!
Jeder Mensch hat eine Geschichte. Er geht durch tiefe Täler und erklimmt Berge. Und jeder Mensch verdient, dass man ihm Aufmerksamkeit, Zeit und Liebe schenkt. Dass man ihm zuhört! Denn wie bereits erwähnt: jeder Mensch hat eine Geschichte! Und jede Geschichte will erzählt werden.
http://likemag.com/de/bevor-sie-stirbt-offenbart-sie-ihre-wahre-identitaet-den-pflegern-bleibt-die-spucke-weg/204690?utm_source=ps&utm_campaign=tp&utm_medium=fb
Manchmal lohnt es sich genau hinzusehen!
Author: Viola Herrmann
Sterben gehört in Pflege- und Altersheimen zum Alltag. Oft werden die Patienten und Bewohner, bevor sie die Welt verlassen, so gut wie nie von Angehörigen besucht. Sehnsüchtig sitzen die Alten nur noch da und warten. Warten auf den Tod – oder auf eine Nachricht von ihren Familien. Sie sind einsam, verbittert und traurig. Meist geben sie deshalb jeglichen Lebenswillen schnell auf.
Genauso erschien es den Pflegern auch bei dieser alten Dame. Sie glaubten, sie sei senil und sehne sich nach dem Tod. Hin und wieder murmelte die Seniorin etwas vor sich hin, das böse und giftig klang. Geistig schien sie schon lange nicht mehr auf der Höhe zu sein.
Nachdem die alte Frau gestorben war, räumten die Pfleger ihre Sachen zusammen. Dabei entdeckten sie einen Zettel. In krakeliger Schrift war zu lesen:
„Liebe Pfleger und Schwestern,
wen glaubt ihr zu erkennen, wenn ihr mir in die Augen blickt? Eine merkwürdige, verbitterte, alte Frau, die sehnsüchtig ins Leere starrt. Eine Frau, die nicht reagieren will, obwohl man sie andauernd darum bittet. Eine Frau, die ihr Essen einfach wieder ausspuckt. Ihr denkt, ich bekäme nichts mehr mit von der Welt. Ständig verliere ich Schuhe oder Kleidungsstücke. Widerspenstig lasse ich mich von euch baden und füttern. Immer darauf hoffend, dass der Tag schnell vorübergeht. Ist es das, was ihr über mich denkt? Ja? Dann seht diesmal genau hin! Denn DAS bin ich nicht. Auch, wenn ich mich ruhig verhalte – weil ihr es mir angeordnet habt.
DAS bin ich:
Ein Mädchen. Gerade einmal zehn Jahre alt, mit Mutter und Vater. Mit Geschwistern und einer liebenden Familie. Ich bin sechzehn und besitze Flügel. Träume von der Liebe! Ich bin eine 20-jährige, wunderschöne Braut und mein Herz tanzt vor Freude. Denn es gibt ein Versprechen für die Ewigkeit. Ich bin Mutter. Ich bin 30 und meine Kinder brauchen mich. Ich bin glücklich. Meine Kinder sind erwachsen und ich bin 40 Jahre alt. Doch ich bin glücklich, denn ich besitze eine liebende Familie. Als ich 50 Jahre alt bin, sind meine Kinder längst ausgezogen. Doch mein Mann ist noch hier. Ich bin glücklich. Ich bin eine 60-jährige Oma und ich halte meine Enkelkinder im Arm.
Ich sitze, im Kreise meiner Familie und ich trauere. Mein geliebter Mann ist gestorben. Die Zukunft bringt Ungewissheit und Angst. Meine Kinder sind fort, mein Mann ist nun auch fort.
Ich erlebe eine Rückblende. Denke an all die vergangenen Jahre. Glückliche Jahre. Ich bin alt. Auch mit mir hat die Natur kein Erbarmen. Das Alter ist grausam und isoliert mich.
Kraft, Schönheit, Lebensfreude – alles ist dahin. Mein Herz ist erkaltet. Doch das Mädchen in mir lebt noch. Und es liebt noch. Ich reise zurück und erlebe alles noch einmal. Viel zu schnell ist mein Leben vorüber gegangen. Ich akzeptiere, dass nichts für die Ewigkeit festzuhalten ist.
Deshalb: öffnet eure Augen! Seht ganz genau hin! Denn DAS bin ich!
Jeder Mensch hat eine Geschichte. Er geht durch tiefe Täler und erklimmt Berge. Und jeder Mensch verdient, dass man ihm Aufmerksamkeit, Zeit und Liebe schenkt. Dass man ihm zuhört! Denn wie bereits erwähnt: jeder Mensch hat eine Geschichte! Und jede Geschichte will erzählt werden.
http://likemag.com/de/bevor-sie-stirbt-offenbart-sie-ihre-wahre-identitaet-den-pflegern-bleibt-die-spucke-weg/204690?utm_source=ps&utm_campaign=tp&utm_medium=fb
Das Recht auf ein Ende
Seit der neuen Gesetzgebung zur Sterbehilfe wird heftig diskutiert. Am 4.3. war in der Süddeutschen Zeitung der aktuelle Stand sehr gut zusammengefasst. Persönlich trifft mich das nicht so, da ich ja glaube, für mich eine Lösung zu haben. Schlimm aber für Betroffene, die sich nicht selbst helfen können.
Man muss nicht an Gott glauben, um das Leben als Geschenk zu empfinden; trotz aller Herausforderungen und Krisen, die es bereithält. Die meisten Menschen hängen denn auch am Leben. Sogar in Situationen, die sie womöglich einst selbst als so furchtbar einschätzten, dass sie sagten: Dann wäre ich lieber tot. So möchten selbst Patienten mit einem Locked-in-Syndrom, die also nur noch ihre Augenlider bewegen können, weiterleben. In Studien berichten sie im Durchschnitt von einer ebenso großen Zufriedenheit wie Gesunde.
Doch „im Durchschnitt" bedeutet nun einmal: Es gibt auch Menschen, die mit einer schweren Krankheit eben nicht zurechtkommen. Die sich auch nach einer Phase der Trauer und des Abschiednehmens von ihrer früheren Art zu leben nicht an die neue Situation gewöhnen können. Die unerträgliche Schmerzen haben und ihr Leben daher nicht mehr als Geschenk empfinden, sondern als stetige Qual. Für diese Menschen und für alle, die mit ihnen leiden, bedeutet es eine enorme Erleichterung, dass das Bundesverwaltungsgericht nun für den „extremen Einzelfall" das Recht auf eine schmerzlose Selbsttötung festgestellt hat.
Wenn sich ein Mensch das Leben nimmt, ist das furchtbar traurig. Meist könnten Therapeuten, Seelsorger, eine hochwertige medizinische und pflegerische Versorgung und ein verlässliches soziales Netz Menschen vor einem Suizid bewahren; und es muss das Ziel jeder Gesellschaft sein, Kranke willkommen zu heißen, ihnen Hilfe anzubieten und Wege aufzuzeigen, wenn alles ausweglos erscheint. Ein Suizid ist niemals heroisch, er entsteht immer aus einer Hilflosigkeit.
Aber manchmal, in den wenigen Extremsituationen, die das Bundesverwaltungsgericht aufgezeigt hat, gibt es eben keine Hilfe mehr. Dann lässt sich das Leid nicht lindern und die Freude nicht einmal für Augenblicke zurückgewinnen, auch wenn manche Palliativmediziner unablässig anderes behaupten. Dann lässt sich die Situation nicht mit der eigenen Vorstellung von Würde und Selbstbestimmung in Einklang bringen, die tief in der Persönlichkeit verankert ist. Das, was vom Geschenk des Lebens übrig bleibt, ist dann trotz aller Unterstützung nur noch Elend.
Der Staat hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Leben all seiner Bürger zu schützen. Das ist gut - nicht gut ist jedoch, dass diese paternalistische Haltung bisher keine Ausnahme zuließ und auch extrem Leidenden der Zugang zu tödlichen Mitteln verwehrt blieb. So ist aus dem Recht auf Leben eine Pflicht zum Leben geworden, der sich Menschen nur durch radikale Schritte entziehen können. Wenn sie nicht von Berufs wegen Zugang zu Arzneien haben, die einen sanften Tod ermöglichen, dann springen sie aus dem Fenster, werfen sich vor Züge oder nehmen Tabletten, deren Folgen schwer kalkulierbar sind. Das verleiht dem Suizid zusätzlichen Schrecken.
So kehrt sich der paternalistische Schutz der unheilbar. Kranken um in Schutzlosigkeit. Der Staat wird dann zum überstrengen Vater, der starr an seinen Prinzipien festhält und verkennt, dass besondere Situationen besondere Maßnahmen erfordern. Wann Leid trotz aller Hilfeangebote unerträglich wird, kann nur der Kranke selbst entscheiden. Und wenn er bei klarem Verstand und gesunder Seele frei zu dem Schluss kommt, dass es für ihn keine Linderung gibt, dann gebietet es die Menschenliebe, seine Entscheidung zu respektieren und ihm eine würdige Umsetzung zu ermöglichen. Dazu gehört der Zugang zu einer Medizin, mit der er sein Leben schmerzlos beenden kann.
Das Recht auf ein Ende
VON CHRISTINA BERNDT
Man muss nicht an Gott glauben, um das Leben als Geschenk zu empfinden; trotz aller Herausforderungen und Krisen, die es bereithält. Die meisten Menschen hängen denn auch am Leben. Sogar in Situationen, die sie womöglich einst selbst als so furchtbar einschätzten, dass sie sagten: Dann wäre ich lieber tot. So möchten selbst Patienten mit einem Locked-in-Syndrom, die also nur noch ihre Augenlider bewegen können, weiterleben. In Studien berichten sie im Durchschnitt von einer ebenso großen Zufriedenheit wie Gesunde.
Doch „im Durchschnitt" bedeutet nun einmal: Es gibt auch Menschen, die mit einer schweren Krankheit eben nicht zurechtkommen. Die sich auch nach einer Phase der Trauer und des Abschiednehmens von ihrer früheren Art zu leben nicht an die neue Situation gewöhnen können. Die unerträgliche Schmerzen haben und ihr Leben daher nicht mehr als Geschenk empfinden, sondern als stetige Qual. Für diese Menschen und für alle, die mit ihnen leiden, bedeutet es eine enorme Erleichterung, dass das Bundesverwaltungsgericht nun für den „extremen Einzelfall" das Recht auf eine schmerzlose Selbsttötung festgestellt hat.
Wenn sich ein Mensch das Leben nimmt, ist das furchtbar traurig. Meist könnten Therapeuten, Seelsorger, eine hochwertige medizinische und pflegerische Versorgung und ein verlässliches soziales Netz Menschen vor einem Suizid bewahren; und es muss das Ziel jeder Gesellschaft sein, Kranke willkommen zu heißen, ihnen Hilfe anzubieten und Wege aufzuzeigen, wenn alles ausweglos erscheint. Ein Suizid ist niemals heroisch, er entsteht immer aus einer Hilflosigkeit.
Aber manchmal, in den wenigen Extremsituationen, die das Bundesverwaltungsgericht aufgezeigt hat, gibt es eben keine Hilfe mehr. Dann lässt sich das Leid nicht lindern und die Freude nicht einmal für Augenblicke zurückgewinnen, auch wenn manche Palliativmediziner unablässig anderes behaupten. Dann lässt sich die Situation nicht mit der eigenen Vorstellung von Würde und Selbstbestimmung in Einklang bringen, die tief in der Persönlichkeit verankert ist. Das, was vom Geschenk des Lebens übrig bleibt, ist dann trotz aller Unterstützung nur noch Elend.
Der Staat hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Leben all seiner Bürger zu schützen. Das ist gut - nicht gut ist jedoch, dass diese paternalistische Haltung bisher keine Ausnahme zuließ und auch extrem Leidenden der Zugang zu tödlichen Mitteln verwehrt blieb. So ist aus dem Recht auf Leben eine Pflicht zum Leben geworden, der sich Menschen nur durch radikale Schritte entziehen können. Wenn sie nicht von Berufs wegen Zugang zu Arzneien haben, die einen sanften Tod ermöglichen, dann springen sie aus dem Fenster, werfen sich vor Züge oder nehmen Tabletten, deren Folgen schwer kalkulierbar sind. Das verleiht dem Suizid zusätzlichen Schrecken.
So kehrt sich der paternalistische Schutz der unheilbar. Kranken um in Schutzlosigkeit. Der Staat wird dann zum überstrengen Vater, der starr an seinen Prinzipien festhält und verkennt, dass besondere Situationen besondere Maßnahmen erfordern. Wann Leid trotz aller Hilfeangebote unerträglich wird, kann nur der Kranke selbst entscheiden. Und wenn er bei klarem Verstand und gesunder Seele frei zu dem Schluss kommt, dass es für ihn keine Linderung gibt, dann gebietet es die Menschenliebe, seine Entscheidung zu respektieren und ihm eine würdige Umsetzung zu ermöglichen. Dazu gehört der Zugang zu einer Medizin, mit der er sein Leben schmerzlos beenden kann.
Freitag, 3. März 2017
SZ-Abonnentenbrief
Sehr geehrter Leser,
das Leben in einer Redaktion ist nicht immer lustig, meinungsstark, aufregend, debattenfreudig, konkurrenzintensiv oder routiniert-professionell. Manchmal ist es nur traurig.
Ein solcher Tag war der Mittwoch, als wir vom plötzlichen Tod unseres Feuilleton-Kollegen Christopher Schmidt erfuhren. Schmidt, gerade mal 52, war nicht nur ein Mensch der Literatur und des Theaters, sondern auch einer, der sich ebenso gerne mit der Grammatik der Ironie beschäftigte wie mit dem sauberen Setzen von Dübeln. Er war Leser, Handwerker, Autor, Vielarbeiter, Beziehungsmensch. Vielleicht haben Sie Sonja Zekris Nachruf auf Schmidt in der Donnerstagsausgabe der SZ gelesen. Aus dem Text sprechen Respekt, Trauer, Fassungslosigkeit, aber auch die gemeinsam geteilte Liebe zu einem Beruf und zu einer Zeitung.
Auch in der SZ-Redaktion gibt es viele Frauen und Männer, die so um die 50 herum sind. („So um die 50 herum“ reicht heute von Mitte 40 bis Anfang 60.) Jenseits der persönlichen Betroffenheit beim Tod eines Freundes, Kollegen, guten Bekannten löst so eine Nachricht auch oft die Reaktion aus: Der war ja nur wenig älter als ich oder, in vielen Fällen auch: Der war ja jünger als ich.
Viele von Ihnen werden dieses Gefühl selbst kennen. Wenn man älter wird, liest man Todesanzeigen mit einer anderen Wahrnehmung als früher, auch wenn man die Menschen, um die es da geht, gar nicht gekannt hat. Man sieht sich Geburts- und Sterbedaten an – und man rechnet. Als ich Mitte dreißig war, waren Todesanzeigen für mich in erster Linie Fenster in die Vergangenheit. Da gab es Zuschreibungen wie „Teilnehmer beider Weltkriege“ oder „eine aufopferungsvolle Gattin und Mutter, Schlesierin von Geburt und aus Überzeugung“. Das gibt es heute nicht mehr. Und meines Wissens ist die FAZ die einzige Zeitung, in der heute noch immer wieder mal Anzeigen erscheinen, in denen an Menschen erinnert wird, die 1943 oder 1945 gefallen sind. Das wirkt nahezu kurios.
Heute bin ich selbst am äußeren Ende des Um-die-50-herum. Ja, ich lese Todesanzeigen, die keine Fenster in die Vergangenheit mehr sind, sondern Spiegel der Gegenwart. Ich weiß nicht mehr so genau, wann das wirklich begonnen hat. Aber ich weiß, dass man, je älter man wird, desto sicherer wahrnimmt, zumal in seelisch unsicheren Momenten, dass man der Bahre näher steht als der Wiege. Wenn ich dann allerdings meinen jetzt 92-jährigen Vater besuche, dem es glücklicherweise immer noch recht gut geht, relativiert dies auch wieder manches Gegrübel über das eigene Alter.
Trotzdem wird auf dem Weg in die Lebenslandschaften jenseits der 60 das Gefühl, mindestens das meiste schon erlebt zu haben, manchmal sehr drängend. Gewiss gibt es viele fröhliche, gut gelaunte, optimistische Menschen, die sich mit 73 im Status von Prä-Senioren fühlen und die „vonne Endlichkait“, wie Günter Grass' letztes Buch heißt, nichts wissen wollen. Vermutlich ist das gut, so, wie es gut ist, dass wir nicht wissen, wann was mit uns passiert. Das ist schon allein deswegen gut, weil man, wüsste man denn um das Datum der eigenen Endlichkeit, stets in dessen Schatten leben würde. Das Beste, was einem Menschen passieren kann, ist, dass er so lange wie nur möglich im Licht lebt. Auch und gerade, wenn er um die Dunkelheit weiß.
Stirbt nun jemand, den man mochte, kannte, schätzte, ist dies auch ein plötzlicher Einbruch der Dunkelheit. Die erste Reaktion darauf ist oft das, was mit dem Wort „fassungslos“ umschrieben wird. Als die Nachricht von Christopher Schmidts Tod in der Redaktionskonferenz bekannt gegeben wurde, las man auf fast allen Gesichtern die Frage: „WAS?“. Es ist das Unverständnis, dass einer, der gerade noch da war, nie wieder da sein wird. Und es ist das Entsetzen, dass man damit nie gerechnet hätte. Gerechnet? Doch, dieser Begriff wird im Zusammenhang mit solchen Ereignissen oft benutzt. Natürlich hat man nicht damit „gerechnet“, denn Rechnen ist etwas Rationales, etwas, bei dem man vorhandene Größen, Zahlen, Fakten miteinander verbindet, um dann zu einem Ergebnis zu kommen. Beim plötzlichen Tod eines relativ jungen Menschen, so um die 50 herum, gibt es keine Rationalität, keine Rechenoperation erklärt so etwas.
Ich hoffe, Sie sehen mir nach, dass dieser Brief etwas düsterer ist als sonst. Das hat einerseits mit dem Tod Schmidts zu tun, aber andererseits eben auch damit, dass man bei so einer Nachricht einen Eishauch verspürt. Ich wünsche Ihnen sehr, dass Sie ein Wochenende, ja ein Jahr ohne Eishauch erleben.
Beste Grüße
Kurt Kister
Chefredakteur
das Leben in einer Redaktion ist nicht immer lustig, meinungsstark, aufregend, debattenfreudig, konkurrenzintensiv oder routiniert-professionell. Manchmal ist es nur traurig.
Ein solcher Tag war der Mittwoch, als wir vom plötzlichen Tod unseres Feuilleton-Kollegen Christopher Schmidt erfuhren. Schmidt, gerade mal 52, war nicht nur ein Mensch der Literatur und des Theaters, sondern auch einer, der sich ebenso gerne mit der Grammatik der Ironie beschäftigte wie mit dem sauberen Setzen von Dübeln. Er war Leser, Handwerker, Autor, Vielarbeiter, Beziehungsmensch. Vielleicht haben Sie Sonja Zekris Nachruf auf Schmidt in der Donnerstagsausgabe der SZ gelesen. Aus dem Text sprechen Respekt, Trauer, Fassungslosigkeit, aber auch die gemeinsam geteilte Liebe zu einem Beruf und zu einer Zeitung.
Auch in der SZ-Redaktion gibt es viele Frauen und Männer, die so um die 50 herum sind. („So um die 50 herum“ reicht heute von Mitte 40 bis Anfang 60.) Jenseits der persönlichen Betroffenheit beim Tod eines Freundes, Kollegen, guten Bekannten löst so eine Nachricht auch oft die Reaktion aus: Der war ja nur wenig älter als ich oder, in vielen Fällen auch: Der war ja jünger als ich.
Viele von Ihnen werden dieses Gefühl selbst kennen. Wenn man älter wird, liest man Todesanzeigen mit einer anderen Wahrnehmung als früher, auch wenn man die Menschen, um die es da geht, gar nicht gekannt hat. Man sieht sich Geburts- und Sterbedaten an – und man rechnet. Als ich Mitte dreißig war, waren Todesanzeigen für mich in erster Linie Fenster in die Vergangenheit. Da gab es Zuschreibungen wie „Teilnehmer beider Weltkriege“ oder „eine aufopferungsvolle Gattin und Mutter, Schlesierin von Geburt und aus Überzeugung“. Das gibt es heute nicht mehr. Und meines Wissens ist die FAZ die einzige Zeitung, in der heute noch immer wieder mal Anzeigen erscheinen, in denen an Menschen erinnert wird, die 1943 oder 1945 gefallen sind. Das wirkt nahezu kurios.
Heute bin ich selbst am äußeren Ende des Um-die-50-herum. Ja, ich lese Todesanzeigen, die keine Fenster in die Vergangenheit mehr sind, sondern Spiegel der Gegenwart. Ich weiß nicht mehr so genau, wann das wirklich begonnen hat. Aber ich weiß, dass man, je älter man wird, desto sicherer wahrnimmt, zumal in seelisch unsicheren Momenten, dass man der Bahre näher steht als der Wiege. Wenn ich dann allerdings meinen jetzt 92-jährigen Vater besuche, dem es glücklicherweise immer noch recht gut geht, relativiert dies auch wieder manches Gegrübel über das eigene Alter.
Trotzdem wird auf dem Weg in die Lebenslandschaften jenseits der 60 das Gefühl, mindestens das meiste schon erlebt zu haben, manchmal sehr drängend. Gewiss gibt es viele fröhliche, gut gelaunte, optimistische Menschen, die sich mit 73 im Status von Prä-Senioren fühlen und die „vonne Endlichkait“, wie Günter Grass' letztes Buch heißt, nichts wissen wollen. Vermutlich ist das gut, so, wie es gut ist, dass wir nicht wissen, wann was mit uns passiert. Das ist schon allein deswegen gut, weil man, wüsste man denn um das Datum der eigenen Endlichkeit, stets in dessen Schatten leben würde. Das Beste, was einem Menschen passieren kann, ist, dass er so lange wie nur möglich im Licht lebt. Auch und gerade, wenn er um die Dunkelheit weiß.
Stirbt nun jemand, den man mochte, kannte, schätzte, ist dies auch ein plötzlicher Einbruch der Dunkelheit. Die erste Reaktion darauf ist oft das, was mit dem Wort „fassungslos“ umschrieben wird. Als die Nachricht von Christopher Schmidts Tod in der Redaktionskonferenz bekannt gegeben wurde, las man auf fast allen Gesichtern die Frage: „WAS?“. Es ist das Unverständnis, dass einer, der gerade noch da war, nie wieder da sein wird. Und es ist das Entsetzen, dass man damit nie gerechnet hätte. Gerechnet? Doch, dieser Begriff wird im Zusammenhang mit solchen Ereignissen oft benutzt. Natürlich hat man nicht damit „gerechnet“, denn Rechnen ist etwas Rationales, etwas, bei dem man vorhandene Größen, Zahlen, Fakten miteinander verbindet, um dann zu einem Ergebnis zu kommen. Beim plötzlichen Tod eines relativ jungen Menschen, so um die 50 herum, gibt es keine Rationalität, keine Rechenoperation erklärt so etwas.
Ich hoffe, Sie sehen mir nach, dass dieser Brief etwas düsterer ist als sonst. Das hat einerseits mit dem Tod Schmidts zu tun, aber andererseits eben auch damit, dass man bei so einer Nachricht einen Eishauch verspürt. Ich wünsche Ihnen sehr, dass Sie ein Wochenende, ja ein Jahr ohne Eishauch erleben.
Beste Grüße
Kurt Kister
Chefredakteur
Donnerstag, 2. März 2017
Verrückt ?
Als ich mit lieben Verwandten am Rosenmontag Erinnerungen pflegte (http://letztabent.blogspot.de/2015/05/gelungenes-fest.html), kam der Entschluss, es in diesem Mai noch einmal mit einer Floßfahrt zu versuchen.
Für mich ist es höchst riskant, so weit zu planen. Aber, falls ich ausfalle, muss das dann eben - Plan B - ohne mich als Gedächtnisfahrt laufen, wie wohl vieles in nicht allzu ferner Zukunft.
Toll ist, dass sich nun doch eine Mannschaft gefunden hat. Im Vergleich zu 2015 ist sie aber schon geschrumpft. Ich habe noch 2 Plätze in Reserve. Wer hat Lust?
Für mich ist es höchst riskant, so weit zu planen. Aber, falls ich ausfalle, muss das dann eben - Plan B - ohne mich als Gedächtnisfahrt laufen, wie wohl vieles in nicht allzu ferner Zukunft.
Toll ist, dass sich nun doch eine Mannschaft gefunden hat. Im Vergleich zu 2015 ist sie aber schon geschrumpft. Ich habe noch 2 Plätze in Reserve. Wer hat Lust?
Mittwoch, 1. März 2017
Sterben tut weh
chrismon hat im März 2017 wieder eine interessante Titelgeschichte
STERBEN TUT WEH: EIN PALLIATIVMEDIZINER REDET KLARTEXT
Die Schrecken am Ende des Lebens
Die Schmerzen können furchtbar sein. Aber man muss nicht alles aushalten. Es gibt ein Recht auf Linderung
http://chrismon.evangelisch.de/artikel/2017/33187/worauf-es-der-palliativmedizin-ankommt-sterben-tut-weh-schrecken-am-ende-des-lebens
Es lohnt sich, den Artikel zu lesen.
Aus einem anderen Artikel:
Wie viele Menschen in Deutschland bringen sich eigentlich wirklich um?
Ungefähr 10 000 im Jahr. Die Hälfte erhängt sich, ein nicht unerheblicher Teil wirft sich vor Züge, ertränkt sich, erschießt sich, etwa acht Prozent sind Suizide mit Hilfe von Medikamenten. Acht Prozent erreichen also das berühmte friedliche Einschlafen. Der Rest ist laut und hässlich.
http://chrismon.evangelisch.de/artikel/2015/31555/assistierter-suizid-der-tod-zum-einnehmen-renate-kuenast-und-matthias-gockel-ueber-assistierten
STERBEN TUT WEH: EIN PALLIATIVMEDIZINER REDET KLARTEXT
Die Schrecken am Ende des Lebens
Die Schmerzen können furchtbar sein. Aber man muss nicht alles aushalten. Es gibt ein Recht auf Linderung
http://chrismon.evangelisch.de/artikel/2017/33187/worauf-es-der-palliativmedizin-ankommt-sterben-tut-weh-schrecken-am-ende-des-lebens
Es lohnt sich, den Artikel zu lesen.
Aus einem anderen Artikel:
Wie viele Menschen in Deutschland bringen sich eigentlich wirklich um?
Ungefähr 10 000 im Jahr. Die Hälfte erhängt sich, ein nicht unerheblicher Teil wirft sich vor Züge, ertränkt sich, erschießt sich, etwa acht Prozent sind Suizide mit Hilfe von Medikamenten. Acht Prozent erreichen also das berühmte friedliche Einschlafen. Der Rest ist laut und hässlich.
http://chrismon.evangelisch.de/artikel/2015/31555/assistierter-suizid-der-tod-zum-einnehmen-renate-kuenast-und-matthias-gockel-ueber-assistierten
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